Quellenedition: Eine Anklageschrift in einem Hochverratsprozess im Jahr 1944
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Der Generalstaatsanwalt.
Hamm (
Westf.) den
3. Mai 1944
5/0. Js. 261/44
Fernruf: 1780/87
Hochverratssache! Vertraulich!
H a f t !
A n k l a g e s c h r i f t .
Der Invalide W______
Z__________ aus Rheinhausen,
______str. 2,
geb. am 26.8.1891 zu
M. Gladbach-Land,
verheiratet, einschlägig vorbestraft, nach polizei-
licher Festnahme am 11.11. 1943 auf Grund des Haft-
befehls des Amtsgerichts Düsseldorf vom 9. März
1944 - 37 AR 135/44 - im Bezirkskrankenhaus des
Gefängnisses in Düsseldorf-Derendorf in Untersuchungshaft,
wird angeklagt,
zu Rheinhausen zu nicht rechtsverjährter Zeit, ins-
besondere in den Jahren 1939-1943 fortge-
setzt durch zwei selbst
[st]ändige Handlungen,
1. absichtlich ausländische Sender abgehört,
2.a) Nachrichten ausländischer Sender, die ge-
eignet sind, die Wi
[e]derstandskraft des deutschen
Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet,
und durch dieselbe Handlung
b
( das hochverräterische Unternehmen, mit
Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die
Verfassung des Reiches zu ändern, vorbereitet
c) öffentlich den Willen des deutschen Volkes
zur wehrhaften Selbstbehauptung, zu lähmen und zu
zersetzen gesucht zu haben.
Verbrechen gegen §§ 1 und 2 der
VO. über außerordent-
liche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, §§ 80
Abs. 2, 83
Abs. 2, §5
Abs. 1 Ziffer 1
KSStr Vo § 73, 74
StGB.
Strafantrag der
Stapoleitstelle Düsseldorf befindet
sich
Bl. 48
d. Akten.
Beweismittel:
1. Geständnis
bezw. Einlassung des Ange-
schuldigten.
2. Zeugen:
1.) Lokheizerin L____ W____
Bl. 2
2.) Gefreiter F____ W____
Bl. 10
3.) Ehefrau M____ K___
Bl. 10r
4.) E___ C______
Bl. 13
5.) Ehefrau E_______ W_____
Bl. 12
6.) Schüller H____ C______
Bl.2
7.) Arbeiter A_____ K___
Bl. 13r
8.) Witwe D________ G__________
Bl.. 29
9. Montageschlosser G_______ M_____
Bl. 35
3. Überführungsstück. Das sichergestellte Rund-
funkempfangsgerät -
Bl. 16
d. A.
b.w.
nach oben
- 2 -
Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
1.
Der Angeschuldigte gehörte vor der nationalsozialist-
ischen Erhebung der
KPD als Funktion
är an und war
in ihr aktiv tätig. Am Tage der Machtübernahme
wurde er in Schutzhaft genommen und einem Konzen-
trationslager überwiesen. Nachdem er am 20.4.1933
entlassen worden war, erfolgte kurz darauf die er-
zneute Festnahme und am 28.7.1934 seine Aburtei-
lung wegen Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz
in Tateinheit mit Vorbereitung zum Hochverrat vom
Oberlandesgericht in Hamm. Er erhielt eine Zuchthaus-
strafe von 1 Jahr und 6 Monaten.
Aus seiner Ehe sind 5 Kinder im Alter von 17 bis
28 Jahren hervorgegangen. Der 24
- jährige Sohn ist
Kriegsbeschädigter des jetzigen Krieges. Die 18
- jäh-
rige Tochter befindet sich im Reichsarbeitsdienst.
Mit Ausnahme der ältesten Tochter haben sämtliche
Kinder der
HJ angehört.
Der Angeschuldigte hat den vorherigen Weltkrieg von
1914 bis 1918 mitgemacht, ist als eta
smäßiger Feld-
webel entlassen
worden und mit dem
EK II, dem Meck-
lenburgischen Verdienstkreuz und der Württembergi
s
schen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden.Das
Frontkämpferehrenkreuz hat er nicht beant
[t]ragt.
Er ist Invalide und bezieht eine monatliche Rente
von 90.-bis 100.-
RM. Infolge rheumatischen Leidens
ist er stark geh= und stehbehindert.
Außer der
NSV. gehört er keiner
NS.-Organistation an.
2.
Nach eigner Einlassung ist es dem Angeschuldigten,
der sich jahrelang vor der Machtübernahme als Kom-
munist aktiv betätigt hat, schwer gefallen, sich nach
dem Umbruch von seinen kommunistischen Gedanken-
gängen zu trennen. Er steht xxxx auch heute noch der
nationalsozialistischen Weltanschauung skeptisch
gegenüber. Obwohl er von seiner Ehefrau und seinen
Kindern wiederholt wegen seines Festhaltens an sei-
ner früheren Gesinnung zurecht
gewiesen und gebeten
worden ist, doch endlich seine Ideen aufzugeben und
seine Gesinnung zu ändern, ist er sei
[-]nen früheren
politischen Anschauungen treu geblieben.
Mit seinem Rundfunkgerät hat er von Kriegsausbruch
bis zu seiner Festnahme ständig
[e] ausländische Sender,
insbesondere den Londoner Nachrischtendienst in deut-
scher Sprache und den Moskauer-Sender in seiner Woh-
nung in Gegenwart seiner Familienangehörigen abge-
hört. Da er infolge seines Leidens nicht selbst in
der Lage war, die einzelnen ausländischen Sender ein-
zustellen, veranlaßte er seine Ehefrau
b.w.
nach oben
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hierzu, die
anderweitig verfolgt wird. Den Schüler H____ C______
forderte er des öfteren auf, zusammen mit ihm die englischen
Nachrichten abzuhören und erzählte ihm auch die von ihm abge-
hörten Hetznachrichten des englischen Senders. Er scheute sich
nicht, das Rundfunkempfangsgerät in solcher Lautstärke abzu-
hören, daß dies auch von den Nachbarn gehört werden konnte.
Dem Zeugen A_____ K___, der mit dem Angeschuldigten im gleichen
Hause wohnte, hat er schon von Anbeginn des Krieges bedeutet,
daß "Deutschland den Krieg nicht gewinnen könnte, weil es nicht
die nötigen Rohstoffe und sonstigen Mittel zum Kriegführen
hätte. Wenn Deutschland auch Waffen habe, so fehle es ihm doch
an
die nötigen Lebensmitteln." Diese Äußerung hat der Angeschul-
digte dem Zeugen gegenüber bei jeder
Gelegenheit sich bietenden
Gelegenheit getan, besonders aber seit der Zeit, als die Fronten
im Osten zurückverlegt wurden. Im übrigen hat der Angeschuldig-
te
[te], ohne da
s der Zeuge sich der Einzelheiten noch erinnern
vermag, fortwährend die Maßnahmen der Regierung kritisiert.
Aber auch schon vor Beginn des jetzigen Krieges hat der Ange-
schuldigte dem Zeugen
Gefr. F__ W__ gegenüber immer davon ge
sp
sprochen, daß" es zum Kriege kommen und die nationalsozialist-
ische Regierung nicht mehr lange am Ruder bleiben, vielmehr über
kurz oder lang die Sowjets an die Regierung kommen würden. Ei-
nige Tage bevor im
Bürgerbräukeller in München der Anschlag auf
den Führer verübt wurde, erklärte er diesem Zeugen, daß "i
nden
n
ächsten Tagen etwas geschähe, durch das das deutsche Volk in
Schrecken versetzt würde."Später, als der Zeuge, der inzwischen
Soldat geworden war, seinen Urlaub in der Heimat verbrachte,
erklärte er ihm:
"Der Krieg wird nicht mehr lange dauern.
Die Deutschen brechen zusammen und die
deutschen Soldaten aus dem Osten kommen
nicht mehr in die Heimat zurück; die
müssen gleich in Ru
ssland bleiben.
Nach dem Zusammenbruch kommen dann die
Ru
ssen nach Deutschland.
xxxxxx Ich werde
dann den Posten bekommen und einnehmen, der
mir zusteht. Unser
[er] Führer wird sich
schon frü
hgenug dünne machen."
Auch der Zeugin L____ W____ gegenüber hat der Beschuldigte
immer wieder erklärt, daß "Deutschland den Krieg verliere..
Ihm- dem Angeschuldigten- aber nichts passieren würde. Die
Feindstaaten würden ihn schon kennen. Weiter erklärte er,
daß "nach dem Zusammenbruch der Kommunismus ans Ruder gelange
und er unter der neuen Regierung einen hohen Posten einnehmen würde."
Dem Schüler C______ hat der Angeschuldigte des öfteren er-
zählt, daß "der Krieg, noch bevor der Winter käme, aus sei und
Deutschland verloren habe. Dann kämen die Engländer als Besat-
zung i
ndas Rhein
[h]land. In der nächsten Zeit würden fast
b.w.
nach oben
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alle Geschäfte geschlossen und müßte die Bevölkerung dann
hungern. Wer nichts im Keller habe, müßte verhungern. So-
bald Italien aus dem Krieg ausgeschieden sei, erfolge auch
der Zusammenbruch der deutschen Regierung. In Deutschland
gehe alles drunter und drüber.
Auch bei der Ehefrau K___ hat der Angeschuldigte schon seit
Kriegsbeginn über die Regierung geschimpft und gehetzt. Immer
erklärte er, daß "die he
itige Regierung nicht bliebe und der
Bolschewismus käme. Sie solle es nur gut mit ihm halten, denn
er würde eine hohe Anstellung bekommen und dann dafür sor
egn,
da
s ihr Mann ebenfalls einen anständigen Posten bekäme." Als
der Führer längere Zeit nicht zum deutschen Volk gesprochen
hatte, behauptete er dieser Zeugin gegenüber:
"Der Führer befindet sich in einer Nervenheilanstalt.
Hermann Göring ist von einer Hauptmannsfrau angeschos-
sen worden Es wird nicht mehr lange dauern, bis die
englischen Fallschirmspringer hier sind."
Nach dem Verrat
Badolgio-Italiens erklärte er der Zeugin:
"Italien scheidet aus dem Kriege aus und
unsere Soldaten in Italien werden vernichtet
werden. Nachdem Umstur
[t]z Italiens erfolgt
auch der Umstur
[t]z in Deutschland. Die Nationalisten,
die auf Grund ihrer Parteizugehörigkeit
eine Anstellung bekommen haben, werden alle gehängt."
In diese
n Zusammenhang nannte er
u.a. auch den Bürgermeister
von Rheinhausen, die Kriminalpolizei und andere Personen. Er
fuhr dann fort:
"Wir bekommen den Kommunismus nach Deutschland.
Die Parteigenossen tragen schon jetzt aus
Angst nicht mehr ihre Parteiabzeichen und
verstecken sie."
Als im Sommer 1943 bei den Eheleuten K___ ein Mann von
der Fürsorge erschien, erklärte der Angeschuldigte nach dess
[en]
Weggang:
"Besitzt der Mann eine Frechheit, noch die
Uniform der Partei zu tragen. Aber es dauert
nicht mehr lange und dann kommt für mich die
Zeit der Abrechnung."
Dieser Zeugin gegenüber hat der Angeschuldigte noch erklärt,
daß "er sie vor ihrem Sohne warne, der im nationalsozialistische
m
Sinne verseucht und dadurch geistig vermasselt sei. Die ganze
Jugend sei heute in diesem Sinne verseucht. Sie und die heutige
Jugend würden schon noch erfahren, was sie getan hätten. Die Au-
gen werden ihnen noch aufgehen, aber dann sei es zu spät."
Gleiche Äußerungen hat der Angeschuldigte auch der Zeugin W__-
___ gegenüber getan. Auch ih
t hat er oft erklärt, daß "Deutsch-
land den Krieg nicht gewinnen könnte. Es sei am Ende und habe
nichts mehr gegen den Feind einzusetzen. Deutschland habe keine
Flugzeuge und Schiffe mehr."
b.w.
nach oben
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In
wehrkraftzersetzender Weise hat er auch noch anderen
Zeugen gegenüber gleiche oder ähnliche Äußerungen getan.
So erklärte er der Zeugin G_________ anlässig des Verrates
Badolgio-Italiens, daß "der Krieg für Deutschland bald ver-
loren sei und die Amerikaner hier eintreffen würden." Als
die Zeugin erwi
[e]derte, dann lieber sterben zu wollen und ihn
fragte, wofür unsere Söhne dann eigentlich gekämpft hätten,
entgegnete er:
"Ach, die Amerikaner werden uns armen Leuten schon
nichts tun."
Dem Zeugen M_____ erklärte er in politischen Unterhaltungen,
daß "der Krieg nicht habe kommen brauchen." Dem Zeugen gegen-
über bezweifelte er die Richtigkeit der deutschen Berichte
über die Abschüsse feindlicher Flugzeuge.
3.
Der Angeschuldigte ist im wesentlichen geständig. Im übrigen
wird er durch die glaubwürdigen Bekundungen der Zeugen über-
führt.
Es wird beantragt:
a) Hauptverhandlungstermin anzuberaumen.
b) die Fortdauer der Untersuchungshaft
zu beschließen.
gez. Dr. J o e l .
Kommentare
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© R. Arndt
Der Termin der Anklageschrift ist bezeichnend. Als Generalstaatsanwalt Joel sie diktierte, war der Angeschuldigte bereits sechs Monate in Haft, vier davon offensichtlich ohne Haftbefehl.
Das legt die Vermutung nahe, dass es zur Zeit der Festnahme keine hinreichenden Beweise gab, die für einen Haftbefehl und eine Anklage ausreichten, sondern dass Z. wie viele andere auch aufgrund einer Denunziation vorsorglich festgenommen worden war, bevor die Zeugenbefragungen handfeste Beweise erbrachten, die überhaupt für einen Haftbefehl reichten. In jedem Rechtsstaat wäre eine solche Festnahme ohne einen auf einen hinreichenden Anfangsverdacht gestützten Haftbefehl unmöglich.
Ob Z.s Zustand schon vor der Festnahme so schlecht war, dass er auf ein Krankenhaus angewiesen war, ist unklar.