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Quellenedition: Eine Anklageschrift in einem Hochverratsprozess im Jahr 1944

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Weitere Erläuterungen zu dieser Quelle und Scans des Originals finden Sie unter http://ralf-arndt.de/justizakten.html.

Hinweise zur Benutzung:

Die hier vorliegende Version ist eine quellenkritisch kommentierte Version der Anklageschrift.

Im Editionstext befinden sich Hinweise auf Recht[s]schreib- und Tippfähler und Erklärungen der Abk. Die zusätzlichen Informationen erhält man, wenn man mit der Maus auf die unterstrichenen Textstellen fährt. Die kommentierten Textstellen sind verlinkt. Hier klickt man mit der linken Maustaste, um zum Kommentar zu gelangen.

Der Generalstaatsanwalt.Hamm (Westf.) den 3. Mai 1944
5/0. Js. 261/44 Fernruf: 1780/87
Hochverratssache! Vertraulich!
H a f t !



A n k l a g e s c h r i f t .

Der Invalide W______ Z__________ aus Rheinhausen,
______str. 2, geb. am 26.8.1891 zu M. Gladbach-Land,
verheiratet, einschlägig vorbestraft, nach polizei-
licher Festnahme am 11.11. 1943 auf Grund des Haft-
befehls des Amtsgerichts Düsseldorf vom 9. März
1944 - 37 AR 135/44 - im Bezirkskrankenhaus des
Gefängnisses in Düsseldorf-Derendorf in Untersuchungshaft,
wird angeklagt,
zu Rheinhausen zu nicht rechtsverjährter Zeit, ins-
besondere in den Jahren 1939-1943 fortge-
setzt durch zwei selbst[st]ändige Handlungen,
1. absichtlich ausländische Sender abgehört,
2.a) Nachrichten ausländischer Sender, die ge-
eignet sind, die Wi[e]derstandskraft des deutschen
Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet,
und durch dieselbe Handlung
b( das hochverräterische Unternehmen, mit
Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die
Verfassung des Reiches zu ändern, vorbereitet
c) öffentlich den Willen des deutschen Volkes
zur wehrhaften Selbstbehauptung, zu lähmen und zu
zersetzen gesucht zu haben.


Verbrechen gegen §§ 1 und 2 der VO. über außerordent-
liche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939
, §§ 80 Abs. 2, 83
Abs. 2, §5 Abs. 1 Ziffer 1 KSStr Vo § 73, 74 StGB.
Strafantrag der Stapoleitstelle Düsseldorf befindet
sich Bl. 48 d. Akten.


Beweismittel:
1. Geständnis bezw. Einlassung des Ange-
schuldigten.
2. Zeugen:
1.) Lokheizerin L____ W____ Bl. 2
2.) Gefreiter F____ W____ Bl. 10
3.) Ehefrau M____ K___ Bl. 10r
4.) E___ C______ Bl. 13
5.) Ehefrau E_______ W_____ Bl. 12
6.) Schüller H____ C______ Bl.2
7.) Arbeiter A_____ K___ Bl. 13r
8.) Witwe D________ G__________ Bl.. 29
9. Montageschlosser G_______ M_____ Bl. 35
3. Überführungsstück. Das sichergestellte Rund-
funkempfangsgerät - Bl. 16 d. A.

b.w.

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Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.

1.

Der Angeschuldigte gehörte vor der nationalsozialist-
ischen Erhebung der KPD als Funktionär an und war
in ihr aktiv tätig. Am Tage der Machtübernahme
wurde er in Schutzhaft genommen und einem Konzen-
trationslager überwiesen. Nachdem er am 20.4.1933
entlassen worden war, erfolgte kurz darauf die er-
zneute Festnahme und am 28.7.1934 seine Aburtei-
lung wegen Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz
in Tateinheit mit Vorbereitung zum Hochverrat vom
Oberlandesgericht in Hamm. Er erhielt eine Zuchthaus-
strafe von 1 Jahr und 6 Monaten.

Aus seiner Ehe sind 5 Kinder im Alter von 17 bis
28 Jahren hervorgegangen. Der 24- jährige Sohn ist
Kriegsbeschädigter des jetzigen Krieges. Die 18- jäh-
rige Tochter befindet sich im Reichsarbeitsdienst.
Mit Ausnahme der ältesten Tochter haben sämtliche
Kinder der HJ angehört.
Der Angeschuldigte hat den vorherigen Weltkrieg von
1914 bis 1918 mitgemacht, ist als etasmäßiger Feld-
webel entlassen worden und mit dem EK II, dem Meck-
lenburgischen Verdienstkreuz und der Württembergis
schen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden.Das
Frontkämpferehrenkreuz hat er nicht beant[t]ragt.

Er ist Invalide und bezieht eine monatliche Rente
von 90.-bis 100.- RM. Infolge rheumatischen Leidens
ist er stark geh= und stehbehindert.
Außer der NSV. gehört er keiner NS.-Organistation an.

2.
Nach eigner Einlassung ist es dem Angeschuldigten,
der sich jahrelang vor der Machtübernahme als Kom-
munist aktiv betätigt hat, schwer gefallen, sich nach
dem Umbruch von seinen kommunistischen Gedanken-
gängen zu trennen. Er steht xxxx auch heute noch der
nationalsozialistischen Weltanschauung skeptisch
gegenüber. Obwohl er von seiner Ehefrau und seinen
Kindern wiederholt wegen seines Festhaltens an sei-
ner früheren Gesinnung zurecht gewiesen und gebeten
worden ist, doch endlich seine Ideen aufzugeben und
seine Gesinnung zu ändern, ist er sei[-]nen früheren
politischen Anschauungen treu geblieben.

Mit seinem Rundfunkgerät hat er von Kriegsausbruch
bis zu seiner Festnahme ständig[e] ausländische Sender,
insbesondere den Londoner Nachrischtendienst in deut-
scher Sprache und den Moskauer-Sender in seiner Woh-
nung in Gegenwart seiner Familienangehörigen abge-
hört. Da er infolge seines Leidens nicht selbst in
der Lage war, die einzelnen ausländischen Sender ein-
zustellen, veranlaßte er seine Ehefrau

b.w.

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- 3 -
hierzu, die anderweitig verfolgt wird. Den Schüler H____ C______
forderte er des öfteren auf, zusammen mit ihm die englischen
Nachrichten abzuhören und erzählte ihm auch die von ihm abge-
hörten Hetznachrichten des englischen Senders. Er scheute sich
nicht, das Rundfunkempfangsgerät in solcher Lautstärke abzu-
hören, daß dies auch von den Nachbarn gehört werden konnte.

Dem Zeugen A_____ K___, der mit dem Angeschuldigten im gleichen
Hause wohnte, hat er schon von Anbeginn des Krieges bedeutet,
daß "Deutschland den Krieg nicht gewinnen könnte, weil es nicht
die nötigen Rohstoffe und sonstigen Mittel zum Kriegführen
hätte. Wenn Deutschland auch Waffen habe, so fehle es ihm doch
an die nötigen Lebensmitteln." Diese Äußerung hat der Angeschul-
digte dem Zeugen gegenüber bei jeder Gelegenheit sich bietenden
Gelegenheit getan, besonders aber seit der Zeit, als die Fronten
im Osten zurückverlegt wurden. Im übrigen hat der Angeschuldig-
te[te], ohne das der Zeuge sich der Einzelheiten noch erinnern
vermag, fortwährend die Maßnahmen der Regierung kritisiert.

Aber auch schon vor Beginn des jetzigen Krieges hat der Ange-
schuldigte dem Zeugen Gefr. F__ W__ gegenüber immer davon gesp
sprochen, daß" es zum Kriege kommen und die nationalsozialist-
ische Regierung nicht mehr lange am Ruder bleiben, vielmehr über
kurz oder lang die Sowjets an die Regierung kommen würden. Ei-
nige Tage bevor im Bürgerbräukeller in München der Anschlag auf
den Führer
verübt wurde, erklärte er diesem Zeugen, daß "inden
nächsten Tagen etwas geschähe, durch das das deutsche Volk in
Schrecken versetzt würde."Später, als der Zeuge, der inzwischen
Soldat geworden war, seinen Urlaub in der Heimat verbrachte,
erklärte er ihm:
"Der Krieg wird nicht mehr lange dauern.
Die Deutschen brechen zusammen und die
deutschen Soldaten aus dem Osten kommen
nicht mehr in die Heimat zurück; die
müssen gleich in Russland bleiben.
Nach dem Zusammenbruch kommen dann die
Russen nach Deutschland.xxxxxx Ich werde
dann den Posten bekommen und einnehmen, der
mir zusteht. Unser[er] Führer wird sich
schon frühgenug dünne machen."

Auch der Zeugin L____ W____ gegenüber hat der Beschuldigte
immer wieder erklärt, daß "Deutschland den Krieg verliere..
Ihm- dem Angeschuldigten- aber nichts passieren würde. Die
Feindstaaten würden ihn schon kennen. Weiter erklärte er,
daß "nach dem Zusammenbruch der Kommunismus ans Ruder gelange
und er unter der neuen Regierung einen hohen Posten einnehmen würde."
Dem Schüler C______ hat der Angeschuldigte des öfteren er-
zählt, daß "der Krieg, noch bevor der Winter käme, aus sei und
Deutschland verloren habe. Dann kämen die Engländer als Besat-
zung indas Rhein[h]land. In der nächsten Zeit würden fast

b.w.

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alle Geschäfte geschlossen und müßte die Bevölkerung dann
hungern. Wer nichts im Keller habe, müßte verhungern. So-
bald Italien aus dem Krieg ausgeschieden sei, erfolge auch
der Zusammenbruch der deutschen Regierung. In Deutschland
gehe alles drunter und drüber.
Auch bei der Ehefrau K___ hat der Angeschuldigte schon seit
Kriegsbeginn über die Regierung geschimpft und gehetzt. Immer
erklärte er, daß "die heitige Regierung nicht bliebe und der
Bolschewismus käme. Sie solle es nur gut mit ihm halten, denn
er würde eine hohe Anstellung bekommen und dann dafür soregn,
das ihr Mann ebenfalls einen anständigen Posten bekäme." Als
der Führer längere Zeit nicht zum deutschen Volk gesprochen
hatte, behauptete er dieser Zeugin gegenüber:
"Der Führer befindet sich in einer Nervenheilanstalt.
Hermann Göring ist von einer Hauptmannsfrau angeschos-
sen worden Es wird nicht mehr lange dauern, bis die
englischen Fallschirmspringer hier sind."
Nach dem Verrat Badolgio-Italiens erklärte er der Zeugin:
"Italien scheidet aus dem Kriege aus und
unsere Soldaten in Italien werden vernichtet
werden. Nachdem Umstur[t]z Italiens erfolgt
auch der Umstur[t]z in Deutschland. Die Nationalisten,
die auf Grund ihrer Parteizugehörigkeit
eine Anstellung bekommen haben, werden alle gehängt."
In diesen Zusammenhang nannte er u.a. auch den Bürgermeister
von Rheinhausen, die Kriminalpolizei und andere Personen. Er
fuhr dann fort:
"Wir bekommen den Kommunismus nach Deutschland.
Die Parteigenossen tragen schon jetzt aus
Angst nicht mehr ihre Parteiabzeichen und
verstecken sie."
Als im Sommer 1943 bei den Eheleuten K___ ein Mann von
der Fürsorge erschien, erklärte der Angeschuldigte nach dess[en]
Weggang:
"Besitzt der Mann eine Frechheit, noch die
Uniform der Partei zu tragen. Aber es dauert
nicht mehr lange und dann kommt für mich die
Zeit der Abrechnung."
Dieser Zeugin gegenüber hat der Angeschuldigte noch erklärt,
daß "er sie vor ihrem Sohne warne, der im nationalsozialistischem
Sinne verseucht und dadurch geistig vermasselt sei. Die ganze
Jugend sei heute in diesem Sinne verseucht. Sie und die heutige
Jugend würden schon noch erfahren, was sie getan hätten. Die Au-
gen werden ihnen noch aufgehen, aber dann sei es zu spät."
Gleiche Äußerungen hat der Angeschuldigte auch der Zeugin W__-
___ gegenüber getan. Auch iht hat er oft erklärt, daß "Deutsch-
land den Krieg nicht gewinnen könnte. Es sei am Ende und habe
nichts mehr gegen den Feind einzusetzen. Deutschland habe keine
Flugzeuge und Schiffe mehr."

b.w.

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-5-

In wehrkraftzersetzender Weise hat er auch noch anderen
Zeugen gegenüber gleiche oder ähnliche Äußerungen getan.
So erklärte er der Zeugin G_________ anlässig des Verrates
Badolgio-Italiens, daß "der Krieg für Deutschland bald ver-
loren sei und die Amerikaner hier eintreffen würden." Als
die Zeugin erwi[e]derte, dann lieber sterben zu wollen und ihn
fragte, wofür unsere Söhne dann eigentlich gekämpft hätten,
entgegnete er:
"Ach, die Amerikaner werden uns armen Leuten schon
nichts tun."
Dem Zeugen M_____ erklärte er in politischen Unterhaltungen,
daß "der Krieg nicht habe kommen brauchen." Dem Zeugen gegen-
über bezweifelte er die Richtigkeit der deutschen Berichte
über die Abschüsse feindlicher Flugzeuge.

3.
Der Angeschuldigte ist im wesentlichen geständig. Im übrigen
wird er durch die glaubwürdigen Bekundungen der Zeugen über-
führt.

Es wird beantragt:
a) Hauptverhandlungstermin anzuberaumen.
b) die Fortdauer der Untersuchungshaft
zu beschließen.

gez. Dr. J o e l .

Kommentare

3. Mai 1944 [zurück]
Der Termin der Anklageschrift ist bezeichnend. Als Generalstaatsanwalt Joel sie diktierte, war der Angeschuldigte bereits sechs Monate in Haft, vier davon offensichtlich ohne Haftbefehl.
Das legt die Vermutung nahe, dass es zur Zeit der Festnahme keine hinreichenden Beweise gab, die für einen Haftbefehl und eine Anklage ausreichten, sondern dass Z. wie viele andere auch aufgrund einer Denunziation vorsorglich festgenommen worden war, bevor die Zeugenbefragungen handfeste Beweise erbrachten, die überhaupt für einen Haftbefehl reichten. In jedem Rechtsstaat wäre eine solche Festnahme ohne einen auf einen hinreichenden Anfangsverdacht gestützten Haftbefehl unmöglich.
Ob Z.s Zustand schon vor der Festnahme so schlecht war, dass er auf ein Krankenhaus angewiesen war, ist unklar.
Vo. über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939 [zurück]
Die Verordnung trat am 7.9.1939 in Kraft und verbot das Hören so genannter Feindsender, also ausländischer Sender, die während des Krieges die alliierte Propaganda nach Deutschland trugen. Die vom Reichspropagandaministerium unter Joseph Goebbels propagierten Volksempfänger waren nur durch Umbau oder mit Zusatzgeräten zum Empfang dieser Sender fähig. Deshalb wurden sie von der Justiz beschlagnahmt.

Text:
Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen.
Vom 1. September 1939

"Im modernen Krieg kämpft der Gegner nicht nur mit militärischen Waffen, sondern auch mit Mitteln, die das Volk seelisch beeinflußen und zermürben sollen. Eines dieser Mittel ist der Rundfunk. Jedes Wort, das der Gegner herübersendet, ist selbstverständlich gelogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volke Schaden zuzufügen.
Die Reichsregierung weiß, daß das deutsche Volk diese Gefahr kennt, und erwartet daher, daß jeder Deutsche aus
Verantwortungsbewußtsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen.
Für diejenigen Volksgenossen, denen dieses Verantwortungsbewußtsein fehlt, hat der Ministerrat für die Reichsverteidigung die
nachfolgende Verordnung erlassen.
Der Ministerrat für die Reichsverteidigung verordnet für das Gebiet des Großdeutschen Reichs mit Gesetzeskraft.
§ 1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren
Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen.
§ 2 Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich
verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft."
Reichsgesetzblatt 1, 1939

Link (Strafvollzug im Nationalsozialismus),
Link (Volksempfänger)
Strafgesetzbuch [zurück]
Die genannten Paragrafen des Reichsstrafgesetzbuches lauteten in der Fassung von 1943:
§ 80 und 83:
Hochverrat gegen Reichsgebiet (1) und Reichsverfassung (2)
§80. Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt das Reichsgebiet ganz oder teilweise einem fremden Staat einzuverleiben oder ein zum Reich gehöriges Gebiet vom Reiche loszureißen, wird mit dem Tode bestraft.
Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern.
(Anm.: Unter Verfassung ist im nationalsozialistischen Staat nicht die geschriebene Verfassung, sondern die Grundordnung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, gleichviel, ob sie auf einem geschriebenen Gesetz beruht oder auf Grund des freien rechtmäßigen Schaltens berufener Führer ins Leben getreten ist, zu verstehen.

§ 83 Abs. 2: Wer öffentlich zu einem hochverräterischen Unternehmen auffordert oder anreizt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. [...]

§ 73 und 74:
Tateinheit (Idealkonkurrenz)
§73. Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung.

Tatmehrheit (Realkonkurrenz)
§74. Gegen denjenigen, welcher durch mehrere selbständige Handlungen mehrere Verbrechen oder Vergehen, oder dasselbe Verbrechen oder Vergehen mehrmals begangen und dadurch mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt hat, ist auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, welche in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht.
Bei dem Zusammentreffen ungleichartiger Freiheitsstrafen tritt diese Erhöhung bei der ihrer Art nach schwersten Strafe ein.
Das Maß der Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis oder fünfzehnjährige Festungshaft nicht übersteigen.
Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg [zurück]
Zu den Auszeichnungen: Frontkämpferehrenkreuz, Eisernes Kreuz
...anderweitig verfolgt... [zurück]
Der Frau Z.s wurde ebenfalls ein Hochverratsprozess gemacht. Allerdings wurde der Sachverhalt in den Medien offenkundig etwas anders dargestellt. Dazu ist folgender Zeitungsartikel überliefert:

Gerechte Strafe für Unbelehrbare
Vor dem Sondergericht Duisburg hatte sich die Ehefrau
K-__________ Z_________ wegen Verstoßes gegen die
Bestimmungen des Gesetzes über außerordentliche Rund-
funkmaßnahmen zu verantworten. Die Angeklagte stellte
wiederholt ihr Rundfunkgerät auf den englischen Sender
ein und ließ auch ihren Ehemann, den sie häufig herbei-
rief, mithören. Die Lautstärke war so groß, dass die Haus-
bewohner mithören konnten. Trotz deren Warnung verblieb
die Angeklagte bei ihrem strafwürdigen Treiben. Das
Sondergericht verurteilte sie zu einer Z u c h t h a u s -
s t r a f e v o n 2 J a h r e n und erkannte ihr die
Ehrenrechte auf die Dauer von 2 Jahren ab. Außerdem wurde
die Einziehung des benutzten Empfangsgeräts angeordnet.


zum Zeitungsausschnitt


Der Verlust der Ehrenrechte meinte von 1852 bis 1974 allgemein den Verlust oder die mangelnde Fähigkeit zur Erlangung akademischer Grade sowie öffentlicher Würden und Ehrenzeichen.

Über die Sondergerichtsbarkeit mit Beispielurteilen aus Hannover unterrichtet dieser Link
Attentat im Bürgerbräukeller [zurück]
Am 8. November 1939 verübte der Schreiner Georg Elser (1903-1945) im Bürgerbräukeller in München einen lange geplanten Sprengstoffanschlag auf Adolf Hitler, der dem Attentat nur durch Zufall knapp entging.
Elser wurde gefasst. Er wurde nur Stunden vor der Befreiumg im Konzentrationslager Dachau erschossen.
Link (shoa.de)
Link (Lemo)
Badolgio-Italien [zurück]
Offizielle Sprachregelung für den von den Alliierten befreiten Teil Italiens unter der Regierung des Marschalls Badolgio. Nachdem im Juli 1943 die italienische Armee gegen Mussolini geputscht hatte, schloss die neue Regierung am 3. September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Aus Sicht des Deutschen Reichs war dies ein "Verrat" an den Verbündeten. Mussolini musste sich an den Gardasee zurückziehen (Republik von Salo). Link (BR)
Wehrkraftzersetzung [zurück]
Der Begriff wurde mit der bereits erwähnten Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) weit gefasst und bezog sich auch auf das "Schwarzhören", also das Abhören und die Verbreitung von Nachrichten in den ausländischen Sendern. Link (Wikipedia)
Dr. Joel [zurück]
"Günther Joel, geb. 1903; von 1933-1943 im Reichsjustizministerium als Referent für Strafsachen und Verbindungsmann zwischen dem RJMin und der SS, dem SD und der Gestapo tätig. 1943 Generalstaatsanwalt in Hamm. 1934 Mitglied der NSDAP, 1938 der SS, zuletzt im Rang eines Obersturmbannführers. Schuldig nach Punkten 2, 3 und 4; 10 Jahre Zuchthaus; 1951 begnadigt." (vgl. Kastner) Danach wurde er Justiziar (vgl. Ernst Klee, Was sie taten - was sie wurden. Frankfurt/ Main 1986, S. 344, Anm. 50.

Joel war auch bei dieser Besprechung beteiligt, bei der es um die legalisierte Anwendung von Folter bei Verhören ging:

„ Der Oberstaatsanwalt
16 A. R. 26/37
Düsseldorf, den 8. Juni 1937
Fernspr. 10 831
Vertraulich!
Betrifft: Mißhandlung politischer Häftlinge
Herrn Generalstaatsanwalt in Düsseldorf
Besprechung im Reichsjustizministerium am 4. 6. 1937
Mein letzter Bericht v. 1. Juni 1937
– 16 A. R. 26/37
Die angekündigte Besprechung mit der Geheimen Staatspolizei
hat am 4. Juni in Berlin (Reichsjustizministerium)
stattgefunden. Es nahmen daran teil:
1. Ministerialdirektor Dr. Crohne,
Reichsministerium Berlin,
2. Oberstaatsanwalt von Haake,
Reichsministerium Berlin,
3. Oberstaatsanwalt Dr. Joel,
Reichsministerium Berlin,
4. Ministerialrat Dr. Best, Gestapo Berlin,
5. Oberregierungsrat Müller, Gestapo Berlin,
6. Generalstaatsanwalt Jung, Berlin,
7. Generalstaatsanwalt Dr. Semler, Hamm,
8. Der Unterzeichnete.
Ministerialdirektor Dr. Crohne machte zunächst Ausführungen
zu der Notwendigkeit einer vertrauensvollen Aussprache
über Mittel und Wege zur Beseitigung aufgetretener
Schwierigkeiten. Er erteilte dann dem Sachreferenten Oberstaatsanwalt
von Haake das Wort, der zunächst allgemeine
Gesichtspunkte und dann die für die Besprechung im Ministerium
ausgearbeiteten sechs Sonderfragen vortrug. An jede
Frage schloß sich eine eingehende Aussprache sämtlicher
Beteiligten.
Einleitend führte Oberstaatsanwalt von Haake etwa folgendes aus:
Von Seiten der höchsten Staatsführung sind verschärfte Vernehmungen für erforderlich und unerläßlich anerkannt worden. In derartigen Fällen ist es widersinnig, die ausführenden Beamten wegen Amtsverbrechens zu verfolgen. Die Staatsanwälte müssen aber genau nach dem Gesetz handeln und haben nicht die Möglichkeit, nach freiem Ermessen von Verfahren Abstand zu nehmen. Ihnen bleiben vielmehr nur ganz beschränkte gesetzliche Möglichkeiten, wollen sie sich nicht der strafbaren Rechtsbeugung schuldig machen. Von der Strafverfolgung auf Grund des § 153 StPO abzusehen, ist unmöglich, da, falls das Amtsverbrechen bejaht wird, Verbrechenstatbestand. Ebenso untragbar, jeden einzelnen Fall durch Niederschlagung auszuräumen, da das eine unmögliche Belastung des Führers, dem allein das Niederschlagungsrecht zusteht.
Zu helfen hier nur durch materielle Einstellung der Verfahren wegen Mangels der Rechtswidrigkeit (Staatsnotstand zu umstritten und daher zu gefährlich im Falle des 172 StPO). Eine solche EInstellung kann man aber nur dann vertreten, wenn klare Regeln und Richtlinien für die Anwendung verschärfter Vernehmungen vorliegen. Der Staatsanwalt muß verhältnismäßig einfach erkennen und beurteilen können, ob hier ein Fall zulässiger Einwirkung, d.h. ein Fall des Mangels der Rechtswidrigkeit vorliegt oder nicht. Mangelndes Rechtsgefühl der Justizbeamten; unwürdiger Zustand für die Polizeibeamten, die sich durch törichtes Bestreiten zu helfen suchen. Über die Möglichkeit derartiger Abgrenzungen zu sprechen, das sei der Zweck der Zusammenkunft vom 4. Juni 1937. Sodann wurde in die Besprechung der Einzelfragen eingetreten:


Frage 1.
Bei welchen Delikten sind „verschärfte Vernehmungen“
zulässig ?
Es herrschte Übereinstimmung, daß derartige Vernehmungen
nur in solchen Fällen vorgenommen werden dürfen, in
denen der Sachverhalt unmittelbare Staatsinteressen
berührt. Als solche kommen in erster Linie Hoch- und Landesverrat
in Betracht. Die Vertreter der Gestapo gaben der
Meinung Ausdruck, dass möglicherweise auch in Bibelforscher-,
Sprengstoff- und Sabotagesachen eine verschärfte
Vernehmung in Frage kommen könnte.
Sie behielten sich jedoch insoweit eine Stellungnahme nach weiterer Erörterung mit dem Herrn Reichsleiter der SS vor. Einhellig war die Auffassung, daß Sachen aus §175 StGB nicht in Betracht kommen. Bei Ausländern ist grundsätzlich eine "verschärfte Vernehmung" unzulässig. In derartigen Fällen soll die Sachlage an Hand der Akten nicht nur durch die örtlichen Stapostellen, sondern durch Gestapo selbst in Berlin geprüft werden, und zwar durch einen besonders dazu ausersehenen Beamten.

Frage 2.
Art der körperlichen Einwirkungen?
Grundsätzlich sind bei „verschärften Vernehmungen“ nur
Stockhiebe auf das Gesäß, und zwar bis zu 25 Stück zulässig.
Die Zahl wird von der Gestapo vorher bestimmt (vgl.
Frage 3). Vom 10. Stockhieb an muß ein Arzt zugegen sein.
Es soll ein „Einheitsstock“ bestimmt werden, um jede Willkür
auszuschalten.

Frage 3
Wer ordnet die Vornahme einer "verschärften Vernehmung" an?
Grundsätzlich nur die Gestapo in Berlin. Die örtliche Stapostelle muß vor verschärfter Vernehmung die Genehmigung in Berlin einholen. Ohne Vorliegen der Genehmigung darf eine verschärfte Vernehmung nicht vorgenommen werden.

Frage 4
Wer führt die körperliche Einwirkung durch?
In keinem Fall darf der Beamte, der die Vernehmung durchführt, auch die Einwirkung vollziehen. Vielmehr wird hierfür ein besonderer von den Stapostellen auszuwählender Beamter bestimmt werden.

Frage 5
Welche Sicherungen sind gegen die Anwendung verschärfter Vernehmungsmaßnahmen bei Unschuldigen gegeben?
Die FRage wurde durch die zu Frage 3 erörterten Sicherungsmaßnahmen für erledigt erklärt.

Frage 6.
Wie werden technisch bei der Justiz die Fälle behandelt:
a) der nach vorstehenden zulässigen Einwirkungen?
Geht eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, wendet
diese sich an die Stapo und lässt die Genehmigung (durch
die Gestapo Berlin) nachweisen. Nur formeller Bescheid:
„Nach den Ermittlungen liegt eine strafbare Handlung nicht
vor:“
b) der nach vorstehendem unzulässigen Einwirkungen?
Stellt sich heraus, daß eine Genehmigung nicht vorlag, beschleunigt Ermittlungen und alsbaldiger Bericht an Zentralstaatsanwaltschaft.
c) der nach vorstehendem zweifelhaften Zulässigkeit (Grenzfälle)?
Sofortige Ablage mit Bericht an die Zentralstaatsanwaltschaft.
In der Besprechung kam die einhellige Auffassung (auch bei den Vertretern der Gestapo) zum Ausdruck, daß die bisherige Art der Anwendung verschärfter Vernehmungen nicht mehr durchgeführt werden darf. Die noch offenstehenden Fälle sollen nach der strafrechtlichen Seite hin beschleunigt einer Klärung zugeführt werden. Eine Fühlungnahme zwischen Gestapo und Reichsjustizministerium über diese Fälle ist in die Wege geleitet. Entscheidung baldigst zu erwarten.
Gestapo wird eine Niederschrift über das Ergebnis der Besprechung vom Ministerium erhalten, sodann sofort Stellung nehmen (vgl. Frage 1) und für die Stapostellen Anweisung erlassen. Reichsjustizministerium wird seinerseits alsdann an die Staatsanwaltschaften Weisung ergehen lassen.
gez. Dr. Steimer“



zitiert nach: Ilse Staff (Hg.), Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt/ Main (Fischer Bücherei) 1964, S. 119ff.

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© R. Arndt